Marzahn Nord-West - und damit auch das Schorfheideviertel - gehört zu den Stadtumbaugebieten in Berlin. Als Folge der Stadtumbaumaßnahmen befürchteten die Bewohner des Quartiers einschneidende Veränderungen. Die Unklarheit über die Zukunft des Quartiers und die Sorge um den drohenden Abriss prägten die Stimmung. Die möglichen Konsequenzen für den Einzelnen reichten vom Verlust der eigenen Wohnung und damit einem Stück Heimat bis hin zur Furcht, zukünftig in einem Stadtteil zu leben, dem eine ungewisse Zukunft bevorsteht.

Anfang 2006 zeigte sich zudem, dass ein Teilrückbau der Häuser wie im Pilotprojekt „Ahrensfelder Terrassen“ bei dieser Maßnahme nicht realisiert werden konnte. Bis Ende 2008 mussten daher im Rahmen des Projektes Stadtumbau Ost in Marzahn Nord-West insgesamt 1.223 Wohnungen zurückgebaut werden, davon 262 im Schorfheideviertel.

Standort (Google-Maps)

Konzept / Leitidee

Vor diesem Hintergrund war es geboten, die Menschen vor Ort in die Planungen zur Zukunft ihres Schorfheideviertels intensiv einzubeziehen. In einem vom Bezirk Marzahn-Hellersdorf, dem Quartiersmanagement und der degewo AG initiierten und von gruppe F Landschaftsarchitekten und TS Redaktion durchgeführten Beteiligungsverfahren nach der so genannten Charrette-Methode wurden daraufhin mehr als 200 interessierte Bürger und Anwohner, sowohl Erwachsene wie auch Kinder und Jugendliche, sowie zahlreiche Initiativen und Institutionen in die Planungen zur Umgestaltung des Schorfheideviertels eingebunden.

Das Besondere des Charrette-Verfahrens: Es ist konsequent öffentlich. Unmittelbar am Planungsort können Interessierte jederzeit an der Charrette teilnehmen, selbst planen, ihre Wünsche äußern oder sich über den Stand der Planung informieren.

Zusätzlich wurde lokales mit externem Wissen verknüpft. Es wurden so genannte Ideengeneratoren einbezogen, junge Landschaftsarchitekten, Architekten, Soziologen und Geographen. Sie befragten die Bewohner nach ihren Vorstellungen, entwickelten daraus Ideen und visualisierten diese.

Die offene Atmosphäre und das Wissen, ein gemeinsames Ergebnis öffentlich präsentieren zu wollen, motivierten die Beteiligten, ihre Interessen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. In diesem Charrette-Verfahren ist schließlich eine Lösungsidee erarbeitet worden, die Modellcharakter für die Stadtentwicklung in schrumpfenden Bereichen hatte.

Eine gemeinsam erarbeitete Lösung für das Schorfheideviertel

Gemeinsam wurden die Qualitäten dieses gut erschlossenen Stadtviertels herausgearbeitet. An erster Stelle stand die naturnahe und ruhige Wohnlage. Von den Bewohnern des Quartiers kam die Idee:

„Wir holen die Schorfheide nach Marzahn-Nord-West“

Bei der Prüfung dieser Idee wurden überraschend viele Übereinstimmungen zwischen den gewünschten Qualitäten für das Schorfheideviertel und den bekannten Qualitäten der Schorfheide festgestellt. Deshalb wurde die Schorfheide zum Leitbild erklärt. Gleichzeitig sollte ein identitätsstiftender Freiraum entstehen, der das Schorfheideviertel in Marzahn Nord-West unverwechselbar macht. Charakteristische Merkmale der Schorfheide wie die bewegte Landschaft, Gräser und Kiefern wurden übernommen und zu Gestaltelementen des Entwurfs gemacht. Die Bewohner wünschten sich auch Garagen, die nun in Form von so genannten Multifunktionsboxen (kurz MuFuBoxen), angeordnet wie eine Schafherde in der Schorfheide, auf Teilen der Rückbauflächen platziert werden.

Durch das Charrette-Verfahren konnte die Ideenfindung für die zukünftige Nutzung der Rückbauflächen mit einer Bewohnerbeteiligung und der Aktivierung von bürgerschaftlichem Engagement verbunden werden. Kontakte wurden geknüpft und nachbarschaftliche Netzwerke gebildet, die auch über das Verfahren hinaus bestehen blieben.

Weiterführende Aktionen, wie der Kunstwettbewerb zu „Hirschen für das Schorfheideviertel“, die anschließende Vergabe von Hirschpatenschaften sowie die Vermietung der MuFuBoxen halten das Interesse der Bewohner an ihrem Quartier wach.

Funktionsbereiche / Erschließung / Barrierefreiheit

Die bewegte Landschaft der Schorfheide ist nun auch in Berlin Marzahn erlebbar. Es wurden bis zu drei Meter hohe Erdhügel modelliert, Rasen wurde angesät. Hohe Gräser (Stipa calamagrostis) sowie am Ende mehr als 50 große Waldkiefern betonen die Hügelkuppen. Im Frühjahr sind zahlreiche blühende Tulpen ein Blickfang.

Im zweiten Bauabschnitt entstanden weitere Hügel, außerdem wurden 24 MuFuBoxen (Multifunktionsboxen) aufgestellt. Der besondere gestalterische Reiz liegt in deren Einbettung in die Hügellandschaft. Sie werden von interessierten Anwohnern gemietet und als Garage, als Abstellraum für Geräte oder auch als Hobbyraum genutzt. Alle MuFuBoxen konnten schon nach kurzer Zeit vermietet werden.

Mit den MuFuBoxen kommt der Eigentümer, die degewo AG, dem Bedürfnis nach privat nutzbaren Flächen außerhalb der Wohnung nach. Gleichzeitig ermöglicht die Offenheit der Nutzungsmöglichkeiten intensivere nachbarschaftliche.

Bürger gestalten Hirschskulpturen aktiv mit

Die Einbeziehung der Bürger in den Planungsprozess endete nicht mit der Charrette. Um die Anlehnung an die Landschaft der Schorfheide zu vervollständigen, sollten zusätzlich Hirschskulpturen das Schorfheideviertel beleben. Den Wettbewerb hierfür hatte der Künstler Jörg Schlinke für sich entschieden.

Mit seiner Idee setzte er die Idee der Anwohnerbeteiligung konsequent fort. Zunächst startete er einen Ideenaufruf für die Gestaltung der Hirsche. Die degewo AG stellte vor Ort eine Wohnung zur Verfügung, so dass der Künstler Gelegenheit hatte, viele Bewohner und Institutionen für sein Projekt zu begeistern. Kinder, Jugendliche, Familien und Senioren haben schließlich mehr als 50 Vorschläge zur Gestaltung eines Hirsches eingereicht. Davon wurden von einer Jury 4 Hirsche zur Realisierung ausgewählt.

An zwei Wochenenden hat der Künstler gemeinsam mit den Ideengebern die Hirschskulpturen aus Beton gegossen. Verbunden war dies mit einem Ausflug in die Schorfheide. Um die Identifizierung der Bewohner mit den Hirschen (und ihrem Quartier) zu verstetigen, wurden Patenschaften an Anwohner und Schulklassen vergeben.

Ökologie / Vegetation

Die Erschließung des Geländes beschränkt sich auf das Notwendige. Wichtige Wegeverbindungen werden mit Plattenbelägen befestigt. Die Mufu-Boxen erhalten schmale Spurbahnen vor dem Garagentor, befahrbare Flächen werden ansonsten in Schotterrasen ausgeführt. Das Vegetationskonzept setzt sich aus lediglich vier Elementen zusammen:

  1. Waldkiefern
  2. Gräser (Stipa calamagrostis)
  3. Rasen
  4. Rote und gelbe Tulpen im Frühjahr

Wirtschaftlichkeit / Nachhaltigkeit

Die Pflege der Anlage gestaltet sich einfach und wirtschaftlich. Neben der regelmäßigen Mahd der Rasenflächen sind die Gräserflächen lediglich einmal im Jahr (im zeitigen Frühjahr) zurückzuschneiden. Alle Pflanzen wurden auch auf Ihre Robustheit und Dauerhaftigkeit hin ausgewählt, so dass dem Projekt eine lange Lebensdauer vorherzusagen ist.

Besonderheit / Alleinstellungsmerkmal

Im Schorfheideviertel war es von Beginn an erklärtes Ziel aller Beteiligten, negativen Veränderungen durch die starke Integration der Bewohner in den Umgestaltungsprozess entgegen zu wirken.

Ausgehend von öffentlichen Planungswerkstätten setzte sich das Engagement der Bewohner des Schorfheideviertels bei der Umgestaltung ihres Viertels fort über weitere Aktionen wie z.B. bei der Gestaltung der Hirsche oder durch die Übernahme von Patenschaften für die aufgestellten Skulpturen. Die MuFuBoxen als nutzungsoffene Angebote zur Aneignung des halböffentlichen Raums sind ein weiterer Baustein zur Identitätsbildung.

Das Schorfheideviertel ist heute eine besondere Adresse. Ein Viertel mit engagierten Bewohnern, die den Rückbau als Chance genutzt haben, sich eine lebenswertes Wohnumfeld zu schaffen.

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